Paralympisch leben

Umsteiger im Sport - Edina Müller zeigt, wie es geht

Umsteiger im Sport - Edina Müller zeigt, wie es geht
11. Juni 2015

Geplant hatte Edina Müller diesen Schritt gar nicht. Nach dem Ende ihrer Basketballkarriere im Sommer 2014 wollte sie es nun wirklich etwas gemächlicher angehen lassen. „Tauchen und Paddeln mit meinem Freund“, erzählt die Hamburgerin, „das war als Freizeitsport gedacht, als Hobby, mehr nicht.“
Anfang Mai wurde Edina Müller Vizeeuropameisterin im Parakanu und hat damit bereits das Ticket für die WM im August in Mailand sicher.
Edina Müller ist das aktuellste Beispiel eines Umsteigers im Sport, eines Wechsels der Disziplin. Aber die 31 Jahre alte Paralympics-Siegerin von London 2012 ist bei weitem nicht die einzige, die in mehreren Sportarten zu Hause ist. „Wir kennen das ja auch aus dem olympischen Sport, Eisschnelllauf und Radfahren, Leichtathleten, die zum Bobsport gehen, da gibt es viele Beispiele“, sagt Dr. Karl Quade, der Vizepräsident Leistungssport im Deutschen Behindertensportverband: „Der Umstieg gelingt dann leichter, wenn man bestimmte körperliche Voraussetzungen schon aus seinem „alten“ Sport mitbringt.“
Andrea Eskau hat Medaillen mit dem Handbike gewonnen, ebenso wie bei den Winterspielen 2014 in Sotschi als sie erstmals im Nordischen Skisport an den Start ging. Der sehbehinderte Kai Kruse gewann 2012 in London Silber im Rudern und bereitet sich nun mit dem sehenden Stefan Nimke auf dem Fahrrad-Tandem auf Rio vor. „Bei Andrea und bei Kai war die notwendige Ausdauergrundlage schon da“, weiß Quade.
Das gilt auch für die Schwimmerin Christiane Reppe, der im Alter von fünf Jahren das rechte Bein amputiert werden musste. Sie war im Becken bereits eine der besten Athletinnen der Welt, 2003 stellte die Dresdnerin einen Weltrekord über 200m Freistil auf. Nach den Spielen 2012 wollte sie sich eigentlich aus dem Leistungssport zurückziehen. Nachdem sie aber das Handbike für sich entdeckt hatte, nahm ihr sportliches Leben einen ähnlichen Verlauf wie bei Edina Müller. Auf Anhieb war sie erfolgreich: 2014 wurde sie Weltmeisterin im Straßenrennen, gewann bei zahlreichen Großereignissen.  Rio ist das Ziel.

Triathlet Stefan Lösler bereitet sich auch intensiv auf die Spiele in Brasilien  vor, als Snowboarder war auch er in Sotschi am Start. „Ich war schon vor meinem Unfall sportlich in beiden Disziplinen erfolgreich“, erzählt Stefan Lösler, „ich versuche jetzt einfach, das Gleiche weiterzumachen.“ Lösler musste nach einem schweren Verkehrsunfall 2010 das linke Bein oberhalb des Knies amputiert werden, ein Jahr brauchte er, bis er wieder gelernt hatte sicher zu gehen. Danach aber brach die alte Motivation für den Sport wieder hervor: „Sport war und ist eine Bestätigung für mich selbst und für den Kopf.“
Umsteiger werden oft auch durch neue Disziplinen gefördert. „Als das Handbike eingeführt wurde, gab es viele Umsteiger aus dem Rennrollstuhl“, weiß Quade. 2004 waren Handbikes erstmals paralympisch. In Rio werden nun im kommenden Jahr die Parakanuten ihr paralympisches Debut feiern.
„Wenn auch die Spitze schon absolut top ist, ist die Konkurrenzdichte  bei neuen Sportarten in der Breite häufig noch nicht so hoch“, sagt Karl Quade, der seit den Paralympischen Spielen von Atlanta Chef de Mission des deutschen Teams ist, „da ist man leichter vorne, wenn man entsprechende körperliche Voraussetzungen mitbringt. Das ist aber absolut notwendig. Edina Müller hat eine starke Oberarm- und Schultermuskulatur, sie ist aus dem Basketball das schnelle, explosionsartige Anschieben gewohnt. Und im Sprint kommt es nicht so sehr auf die Ausdauer an. Das passt.“  
Edina Müller lächelt bloß zustimmend, wenn man ihr die Wörter „Adrenalin“ und „Sucht“ an den Kopf wirft. Ja, so ist es wohl. Jahrelanger Leistungssport lässt  sich nicht so einfach aus den Kleidern schütteln. Das Paddeln auf der Alster machte Spaß, das Paddeln ging gut. Irgendwann erhöhte sie die Umfänge, hatte Talent für die Technik und durch ihr regelmäßiges Krafttraining auch noch genug „Muckis“ - „obwohl ich meinen Rumpf nicht vollständig drehen kann, ging es gut.“ Nach einem Versuch im Rennkajak im letzten Sommer ermutigte Bundestrainer Matthias Neubert sie weiterzumachen. Im April schaffte sie es nach einem halben Jahr intensiven Trainings in den deutschen Kader. Fünfmal in der Woche trainiert sie auf dem Wasser, dazu zwei- bis dreimal Krafttraining in der Mucki-Bude am Olympiastützpunkt Hamburg. Jetzt ist natürlich Rio 2016 ihr großes Ziel: „Das wird schwer genug, dafür muss ich bei der WM unter die ersten sechs kommen, und die internationale Konkurrenz ist stark.“
Nach Rio will natürlich auch Andrea Eskau, um im Handbike ihre Erfolge im Zeitfahren und dem Straßenrennen von 2012 zu wiederholen. In Sotschi siegte sie im Nordischen Skisport im Langlauf über 5 km und über 12,5 km im Biathlon. Die unzähligen weiteren Medaillen bei den Spielen, Welt- und Europameisterschaften kann man gar nicht aufzählen. Adrenalin? Sucht? Sicher – und das fördert: Begeisterung! „Ich bin Sommer- und Wintersportlerin von ganzem Herzen“, sagt sie, gibt aber auch zu: „Man muss schon verrückt sein, wenn man sich diese zwei Saisons antut."