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Telekom - Neue Sporterfahrung: Blindenfußball

Telekom - Neue Sporterfahrung: Blindenfußball
28. April 2014

Hamburg. Manasse steht frei vor dem Tor – und haut ein gigantisches Luftloch. Fast verliert er das Gleichgewicht. Gelächter. Sah schon blöd aus. Das mag er eigentlich nicht so gerne. Und dann noch das Lachen… Aber diesmal, diesmal lachte der 15-Jährige mit. War ja auch alles ganz anders, als normalerweise beim Fußballtraining. Manasse war „blind“, er hatte gerade eine völlig „Neue Sporterfahrung“ gemacht. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwierig ist, es war wirklich alles völlig dunkel“, sagte der talentierte Kicker, „mir tun die Leute echt leid, die blind sind.“

Der Teenager gehört zu der Mannschaft „Spielmacher“, die im Hamburger Stadtteil Harburg im Süden der Millionenmetropole trainiert. Dreimal in der Woche kommen die 25 zwischen 13 und 19 Jahre alten Kids zusammen um unter der fachlichen Anleitung des ehemaligen Profitrainers Michael Lorkowski zu üben. Diesmal aber stand etwas völlig anderes als Spannstoß und Kopfball auf dem Programm: Diesmal nahmen die Jungs an einer Trainingseinheit Blindenfußball teil, die von der Deutschen Telekom im Rahmen der Aktion „Neue Sporterfahrung“ ermöglicht wurde.

Seit September 2013 wird Sportvereinen überall im Land durch die Förderung der Deutschen Telekom im Rahmen der Initiative „Anstoss!“ der Blindenfußball nähergebracht. Viele Jugendmannschaften bekamen nach einer Bewerbung auf der Website http://www.anstoss.telekom.com Besuch  von  speziell ausgebildeten Übungsleitern und Spielern der Blindenfußball-Bundesliga. Das Ziel der langfristig angelegten und sehr gut angenommenen Aktion ist unter anderem, mehr gegenseitiges Verständnis und Respekt für Menschen mit Behinderung sowie wichtige Impulse für die Bildung sozialer Kompetenzen zu schaffen. „Ich habe die Aktion im Internet gefunden und mich sofort beworben, weil ich sie toll fand und ideal für unsre Mannschaft“, sagt Klaas Woller, der als Co-Trainer Lorkowski bei der Arbeit unterstützt.

Denn alle Spieler des Teams haben einen Migrationshintergrund, sie stammen aus sozial benachteiligten Gebieten, haben auch schon traumatische Lebenserfahrungen machen müssen, gelten als Schulverweigerer und haben zum Teil sogar eine kriminelle Vergangenheit. Sie sollen mit dem Fußball aufgefangen werden.  Bis zum Antritt einer Ausbildung, bis zur Integration in den Arbeitsmarkt, bis sie in der Lage sind, ein „normales Leben“ zu führen, werden sie von einem Jugendhilfeträger begleitet.

„Es war schon ein bisschen anstrengender, als bei Jugendmannschaften aus Sportvereinen“, schildert Übungsleiter Gregor Krolewski die Einheit im Harburger Sanierungsgebiet Phoenix-Viertel. Der Sportwissenschaftler reist für die „Neue Sporterfahrung“ überall durch Deutschland und leitet die Trainingsstunde. Gemeinsam mit einem Profi aus der Blindenfußball-Bundesliga vermittelt Krolewski den Kickern erste Erfahrungen und Eindrücke der Lebenswelt blinder und sehbehinderter Menschen. Neben dem sportlichen Aspekt stehen auch die sozialen Gesichtspunkte innerhalb des Projekts im Mittelpunkt. Die Begegnung mit den Spielern aus einem Sozialprojekt war nun aber auch für Krolewski neu:  „Es ging schon ein wenig unruhiger zu als normalerweise, manche hatten Probleme, konzentriert zu bleiben, wenn sie nicht an der Reihe waren.“ Mit Hilfe von Michael Lorkowski („Mubarak, Ruhe jetzt!“) ging das alles aber bestens.

Den Jugendlichen wurde in einer Vorbesprechung zunächst erklärt, worum es geht. Die mitgebrachten „Blindenbrillen“ einschließlich Kopfschutz weckten sofort Interesse. Auch die Bälle, schwerer, kleiner als normale und mit einer Rassel ausgestattet, verleiteten sofort zum Kicken. Aber jetzt noch nicht. Erstmal orientieren. Zu einer Polonaise ließ Krolewski die Spieler aufstellen, alle „blind“ bis auf einen, der die Richtung vorgab. Kommunikation, miteinander reden, wichtig. Und noch wichtiger, wenn man nichts sieht. Auch bei der Koordinationsübung – „rechts, links, hinsetzen, drehen, rollen, links und aufstehen“ – merkten die Spieler schnell, dass man sich auch mit den Ohren orientieren kann. Trotzdem war es auch verstörend und Spaß zugleich. Ja, es wurde viel gelacht.

Und dann war da ja auch noch Michael Löffler. Der Spieler aus der Blinden-Fußballmannschaft des FC St. Pauli unterstützte Krolewski bei den Übungen, machte vor, wie es geht, erklärte die Regeln: „Wer sich bewegt muss ,voy´ rufen“. „Hoy, hoy, hoy“, riefen die Jungs. Und lachten. Eng den Ball am Fuß dribbelte Löffler über den Platz, und man merkte, wie bei den Spielern der Respekt wuchs, grade, nachdem sie selbst  teilweise kläglich bei Schussversuchen gescheitert waren. „Ich finde diese Aktion gut, dass die Kollegen mal mitkriegen, wie es so ist, wenn  man nichts sieht“, sagte der 38-Jährige Löffler, „dass sie vielleicht nicht feixen, wenn sie einen Blinden auf der Straße sehen, sondern Hilfe anbieten.“

Die Chance dafür ist auf jeden Fall da. In der kleinen Gesprächsrunde nach der Einheit löcherten die Jugendlichen Löffler mit Fragen. „Wie kannst du Geld unterscheiden, wie geht es beim Einkaufen, wie suchst du Klamotten aus?“ Und, und, und. „Ganz begeistert“ seien die Jungs gewesen nach dem gelungenen Nachmittag“, erklärte Sozialarbeiter Jens Körner, „es war eine ganz tolle Aktion. Oder um es mit Mittelfeldspieler Mubarak zu sagen: „Es war super interessant mal zu sehen, wie Blinde mit ihrem Problem klarkommen.“ Und genau so soll es ja sein.