Paralympisch leben

„Ich wollte keine Eintagsfliege sein“

Para Ski alpin-WM: Anna Schaffelhuber fühlt sich vom Druck der vergangenen Jahre befreit und blickt dem diesjährigen sportlichen Höhepunkt entspannt entgegen – Weitere Pläne in 2019: Uni-Abschluss, Hochzeit und Haus bauen
„Ich wollte keine Eintagsfliege sein“
Foto: Anna Schaffelhuber Oliver Kremer / DBS
15. Januar 2019

So hatte man Anna Schaffelhuber noch nicht gesehen: Ausgelassen wie nie bejubelte die Monoskifahrerin bei den Spielen in PyeongChang ihre sechste Goldmedaille bei Paralympics. Für die 25-jährige Regensburgerin war es ein Moment der Befreiung – die fünf Titel von Sotschi 2014 hatten Erwartungsdruck ausgelöst, waren auch zu einer Last geworden. Doch in PyeongChang bestätigte Schaffelhuber ihre Leistung – und blickt nun so entspannt wie selten zuvor auf die Weltmeisterschaften im Para Ski alpin im slowenischen Kranjska Gora sowie im italienischen Sella Nevea (21. Januar bis 1. Februar).

Heute macht Anna Schaffelhuber aus ihrer Gefühlslage vor den Paralympics in Südkorea kein Geheimnis mehr. „Ich habe mir die Situation schöngeredet, um mir selbst etwas den Druck zu nehmen“, gibt sie zu und fügt an: „Vorfreude auf die Spiele war bei mir nicht wirklich vorhanden. Ich hatte Respekt vor der Situation. Über die vier Jahre hat sich schon Druck aufgebaut.“ In Sotschi jubelte sie 2014 fünf Mal, gewann in allen Rennen Gold und krönte sich selbst zur Königin des paralympischen Wintersports – mit gerade einmal 21 Jahren. „In Sotschi bin ich das Beste eingefahren, was ich mir vorstellen konnte. Doch so schön es war, so groß war auch die Aufgabe, die sich daraus ergeben hat“, sagt die Athletin des TSV Bayerbach.

Beim Abfahrts-Gold hat sich der große Druck entladen

Gold-Anna schrieb Geschichte, wurde in nur zehn Tagen zum Gesicht des Behindertensports in Deutschland, hatte Auftritte im Fernsehen, bei Empfängen und Galas, erhielt 2015 die Auszeichnung als Weltbehindertensportlerin. Doch neben der gestiegenen Bekanntheit und dem großen Trubel war da noch ihr sportlicher Ehrgeiz. „Ich wollte unbedingt die Erfolge bestätigen und noch eine Goldmedaille holen. Das war das große Ziel. Ich wollte zeigen, dass ich keine Eintagsfliege bin“, erklärt Schaffelhuber.


Deswegen auch der große Jubel, als sie gleich am ersten Wettkampftag in der Abfahrt zu Gold raste. „Das habe ich vier Jahre im Kopf gehabt. Und in diesem Moment hat sich alles entladen. Dieser Sieg war für meine Familie, die mich auch nach Südkorea wieder begleitet hat und mich seit Jahren so unterstützt.“ Die Goldmedaille habe ihr dann den Druck genommen. Diesen hat sie sich natürlich zum Teil selbst gemacht. „Doch ich wusste auch: Wenn ich diesmal kein Gold hole, dann hat das in der Öffentlichkeit nicht gerade eine schöne Außenwirkung. Ich wollte nicht, dass es dann heißt, dass ich über den Zenit hinaus bin“, berichtet die querschnittgelähmte Monoskifahrerin. Auf Gold in der Abfahrt folgte der Titel im Super-G und anschließend Silber in der Super Kombination. Im Slalom und im Riesenslalom verpasste die 25-Jährige das Podium als Vierte und Fünfte knapp. „Ich bin absolut zufrieden. Im Sommer bin ich dann etwas zur Ruhe gekommen, konnte resümieren und habe für mich einen großen Haken gemacht“, sagt Anna Schaffelhuber.

Eine weitere Paralympics-Teilnahme? „Das kann ich noch überhaupt nicht absehen“

Ob nach neun paralympischen Medaillen, darunter sieben in Gold, noch eine weitere hinzukommt, lässt sie offen. „Das kann ich noch überhaupt nicht absehen. Ich lasse es Schritt für Schritt auf mich zukommen – und mir geht’s momentan sehr gut mit dieser Situation.“ Planlos ist die Regensburgerin deswegen allerdings nicht. Nach den Weltmeisterschaften richtet sich der Fokus voll auf den Uni-Abschluss. Acht Prüfungen stehen bis Ende März an, dann will die Lehramtsstudentin das zweite Staatsexamen in der Tasche haben. Im Mai heiratet sie standesamtlich am Chiemsee, im August folgt die kirchliche Trauung. „Dazu bauen wir ein Haus und im September beginnt das Referendariat“, zählt Schaffelhuber auf.

Doch zunächst steht der Sport im Vordergrund. Die WM vom 21. Januar bis 1. Februar mit den technischen Disziplinen in Kranjska Gora und den Speed-Disziplinen in Sella Nevea ist der Höhepunkt in diesem Jahr. Für Anna Schaffelhuber und das deutsche Team, dem nach dem verletzungsbedingten Ausfall von Noemi Ristau nur noch sechs Aktive angehören, ist es nach wenigen Vergleichsmöglichkeiten im Wettkampf in dieser Saison eine Reise ins Ungewisse. „Das mag ich eigentlich nicht so, wenn man nicht recht weiß, wo man steht. Mit den drei bisher absolvierten Rennen kann ich aber sehr zufrieden sein“, bilanziert Schaffelhuber nach zwei Siegen im Riesenslalom und einem zweiten Rang im Slalom.

Nicht mehr dabei sein wird dann ihre langjährige Konkurrentin Claudia Lösch. Die Österreicherin hatte ihre Karriere vor der Saison beendet. „Ich kenne sie, seit ich fünf Jahre alt war und wir haben uns viele spannende Duelle geliefert. Es ist komisch, dass sie nicht mehr dabei ist“, sagt Schaffelhuber, deren stärkste Gegnerinnen die Japanerin Momoka Muraoka und Teamkollegin Anna-Lena Forster sein dürften. Gute Platzierungen sollen natürlich wieder herausspringen nach dreimal Gold und zweimal Silber bei der WM 2017. „Ich sehe es wirklich ganz entspannt. Das hatte ich seit Jahren nicht mehr – aber es ist ein verdammt angenehmes Gefühl“, betont die 25-Jährige. Nach der WM wird sie die Saison bereits beenden. Uni-Abschluss, Hochzeit, Referendariat, Haus bauen – dann dominieren ganz andere Ziele das Leben der siebenfachen Paralympics-Siegerin. Zumindest für einige Zeit.

Das deutsche Team für die WM:
Anna-Lena Forster (23 / BRSV Radolfzell / Singen / Damen sitzend), Georg Kreiter (33 / RSV Murnau / Wolfratshausen / Herren sitzend), Thomas Nolte (34 / MTV Braunschweig / Helmstedt / Herren sitzend), Anna-Maria Rieder (18 / RSV Murnau / Garmisch-Partenkirchen / Damen stehend), Andrea Rothfuss (29 / VSG Mitteltal / Freudenstadt / Damen stehend), Anna Schaffelhuber (25 / TSV Bayerbach / Regensburg / Damen sitzend).