Paralympisch leben

Birgit Kober trainiert schon mal in Rio

Birgit Kober trainiert schon mal in Rio
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22. Februar 2016

In London hat Birgit Kober zwei Mal Gold gewonnen, in Rio hat sie jetzt auf jeden Fall schon einen atmosphärischen Vorsprung herausgeholt.

Birgit Kober an der Copacabana, Birgit Kober am Zuckerhut, Birgit Kober vor der Christus-Statue: Macht die doppelte Goldmedaillengewinnerin von London etwa Urlaub in Rio – nur etwas mehr als ein halbes Jahr vor den Paralympics in der brasilianischen Metropole?

„Nein, nein“, sagt die 44-Jährige lachend, doch wenn sie anschließend von den Brasilianern schwärmt,  erkennt man sofort, dass diese Reise auch ihrer Seele gut getan hat. „Rio ist eine extrem coole Stadt. Ich habe Menschen getroffen, die durch die Bank weg alle offen, lieb, großherzig und gastfreundlich sind. Und vor allem permanent entspannt.

Nachdem Kober bei den Paralympics in London im Speerwurf und Kugelstoßen jeweils Gold mit Weltrekord geholt hatte, wurde es still um die gebürtige Münchnerin. Bei den Weltmeisterschaften im vergangenen Jahr fehlte sie verletzt, den Rio-Aufenthalt nutzte sie deshalb auch zum „Reha-Training“ für ihre Schulter, wie sie es nennt. Auf jeden Fall hat sie viel von ihrem Aufenthalt ausführlich dokumentiert.

Direkt in ihrem Appartement gab es einen Pool für das Wassertraining, zum Kugelstoßen ging es in einen nahegelegenen Park. Speerwerfen ließ die Schulter noch nicht zu. „Brasilianische Athleten, die auch an den Paralympics teilnehmen werden und zum Team Rio gehören, trainieren einfach im Park. Wenn ich früher bei uns in München auf der Wiese trainiert habe, haben mich die Leute angestarrt, als hätte ich einen Vollhau. Dort ist das ganz normal.“ Die Brasilianer ließen sie auch ihre beeindruckenden Trainingsstätten nutzen, eine liegt direkt am Fuße des Zuckerhuts. „Von der Laufbahn konnte man quasi direkt ins Wasser. Ein anderes Stadion war von Regenwald umgeben. Das war richtig schön.“

Möglich wurde das „Trainingslager“, weil eine befreundete brasilianische Trainerin sie zu sich einlud. „Ich musste nur den Flug bezahlen“, sagt Kober, da habe sie nicht lange gezögert. Weil es ihr so gut gefiel, verlängerte sie sogar noch um zwei Wochen und war insgesamt rund einen Monat da. „Wo kann man sich besser für Rio motivieren, als direkt vor Ort?“

Die Behindertensportlerin des Jahres 2012 ist sich nach ihren Eindrücken ganz sicher: Die Paralympics werden etwas ganz Besonderes werden, wenn auch völlig anders als die Spiele vier Jahre zuvor in London. Am Olympischen Dorf fuhr sie nahezu täglich vorbei, es gefällt ihr gut. Nur bei den Stadien, die die Organisatoren gerne bei Facebook präsentieren, muss Kober schmunzeln. „Die Schwimmhalle soll zu 98 Prozent fertig sein, aber für mich sieht das wie ein erweiterter Rohbau aus, als hätten sie vorgestern angefangen. Die Basketball-Arena sieht aber gut aus, vielleicht haben sie die Zahlen verdreht.“

Ob alles rechtzeitig fertig wird, kann Kober nicht beurteilen. „Aber es wird Tag und Nacht gearbeitet. Stillstand gibt es nicht. Und selbst wenn am Ende der letzte Schliff fehlt, ist das egal. Das machen die Brasilianer dann mit ihrer Mentalität und ihrer tollen Stimmung wett.“

Die Sorge vor zu großer Kriminalität in der Millionenstadt teilt Kober bedingt. „In dem Viertel, in dem ich gewohnt habe, kannten mich die Leute nach einem Tag und waren froh, die deutsche Paralympionikin bei sich zu haben. Da hat man sich auch nicht unsicher gefühlt. Und am Strand zum Beispiel habe ich mich an meine einheimischen Begleiter gehalten. Wenn sie irgendwo hingehen, war das auch für mich okay“, erzählt Kober, die darauf vertraut, dass die Sicherheit während der Spiele gewährleistet sein wird: „Und generell gibt es in dem Land einfach krasse Gegensätze von arm und reich.“

Und wie schätzt sie die Bedrohung durch das Zika-Virus ein? „Wir haben uns hier so oft eingeschmiert, dass man sich fragen musste, ob das Anti-Mücken-Spray nicht irgendwann schädlicher war als die Moskitos selbst. Das ist ein großes Problem.“ Die Brasilianer selbst reagierten auf das Zika-Virus aber teilweise mit Galgenhumor. „In den sozialen Netzwerken verbreitet sich ein neues ‚Maskottchen’ namens ‚Brazika’: Eine Stechmücke, die die Fackel trägt.“

Was ihre eigenen sportlichen Ambitionen angeht, ist Kober realistisch. Ein Doppel-Erfolg ist deutlich schwieriger als in London, die Werferin des TSV Bayer 04 Leverkusen muss wie alle anderen Leichtathleten zunächst noch die internen Qualifikationsnormen erfüllen – und auf die Klassifizierung hoffen. Aktuell startet Kober in der Klasse F37. Doch nach einer Operation habe sich ihre Behinderung verschlechtert. „In Dubai werde ich in den nächsten Wochen neu klassifiziert. Deshalb kann ich Stand jetzt auch nichts zu meinen Erfolgschancen sagen, nur so viel: Ich werde mein Bestes geben.“

Eines ist Birgit Kober noch wichtig: Sie kann einige Entscheidungen des Weltverbands in den letzten Jahren nicht verstehen. „Es wurde uns beispielsweise verboten, die Kraft aus den Beinen zu benutzen, selbst wenn wir das könnten.“ Einige würden vergessen, was der Gründer der Paralympics, Sir Ludwig Guttmann, damals bezwecken wollte, als er Menschen mit Behinderungen zur Rehabilitation zum Sport brachte. „Als ich 2007 in den Rollstuhl kam, hätte ich nicht gedacht, dass ich 2012 schon wieder einen Schritt machen kann. Natürlich bin ich sehr unsicher, wenn ich stehe, aber wenn ich im Stehen starten kann, dann mache ich das auch, weil es mich stolz macht. Das war nur durch den Sport möglich, deshalb verstehe ich nicht, wieso da eine Rückentwicklung herbeigeführt wird. Es geht doch darum, durch Sport den Körper weiterzuentwickeln. Deshalb macht mich das Stehen mindestens genau so glücklich wie eine paralympische Medaille, wenn nicht sogar mehr.“

(Quelle: Der Tagesspiegel)