Paralympisch leben

Andrea Eskau - Der außergewöhnliche Weg nach Sotschi

Andrea Eskau - Der außergewöhnliche Weg nach Sotschi
14. März 2014

Sieben Medaillen können es werden – wenn alles so klappt, wie es sich Andrea Eskau vorstellt. Drei Einzelrennen im Langlauf, drei im Biathlon, dazu die Langlaufstaffel: Die 42-jährige Athletin aus dem thüringischen Apolda hat Sotschi und seine Wettkämpfe fest im Visier. Bei ihrer Vorbereitung holt sie sich Unterstützung von Formel-1-Experten.

Vor den Sommerspielen in London absolvierte die bienenfleißige Sportlerin von Januar 2012 bis zu den Wettkämpfen mehr als 21.000 Trainingskilometer mit dem Handbike. Doch mit ihrem Sportgerät lief es dabei nicht so wie gewünscht. Also wandte sie sich an einen Motorsportspezialisten. "Da hat man mir unbürokratisch mit einigen Problemen an meinem Wettkampfbike geholfen", erinnert Andrea Eskau an die Anfänge einer ungewöhnlichen Kooperation. Der Lohn in Form von zwei Goldmedaillen im Straßenrennen und beim Zeitfahren ließ nicht auf sich warten.

Schlitten passte sofort

Noch während der Zusammenarbeit vor London entstand die Idee, mit den Rennsportexperten einen Schlitten für die Paralympischen Winterspiele in Sotschi zu entwickeln. Die Athletin formulierte ihre genauen Anforderungen, die Entwicklungsabteilung setzte sie akribisch um. Der Schlitten wurde zunächst am Bildschirm konzipiert und dann auch in Köln gefertigt. Eine sehr aufwändige Fertigung: "Deswegen haben wir uns immer wieder zusammengesetzt und die einzelnen Parameter überprüft." Der Lohn der Akribie: Der erste Schlitten passte sofort.

Die orthopädische Anpassung verlangte jedoch sehr viel Expertise. Bei einem Orthopädiemeister ließ sie sich die Sitzschale des Schlittens millimetergenau auf ihre anatomischen Maße ausrichten. Solche Anpassungen können nur sehr wenige Experten vornehmen, da hierzu ein großes Maß an Erfahrung notwendig ist. Der neue Schlitten passt nun wie eine Prothese. Er ermöglicht bei Kurven und Abfahrten eine viel größere Kontrolle und neue Bewegungsabläufe. "Der Schlitten zeichnet sich durch ein außergewöhnliches Design, verbunden mit hoher Funktionalität, aus", präsentiert Andrea Eskau ihr neues Sportgerät.

Baustelle beim Biathlon

Beim Biathlon gab’s zudem noch eine weitere Baustelle. Durch stundenlange Video-Analysen der Bewegungsabläufe am Schießstand halbierte sie ihre Schusszeit. Und dann stellte sie fest, dass die alte Luftgewehrmunition bei ihrer Waffe viel zu weit streute. Eine neue Sorte sorgt nun für viel größere Treffsicherheit.

Die Diplom-Psychologin begeisterte sich von Kindheit an für den Sport. Als Leichtathletin begann sie in ihrem Heimatverein "Obertrikotagen Apolda". Nach dem Kauf eines Rennrads lebte sie ihre Ausdauerleidenschaft als Radsportlerin und Triathletin im "Ausdauersportclub Apolda" aus. Seit einem Fahrradunfall 1998 ist Andrea Eskau querschnittgelähmt. Ihren sportlichen Ehrgeiz verlor sie jedoch nicht. Sie lernte das Handbike und die damit verbundenen Möglichkeiten kennen. Schnell stellten sich die ersten Erfolge ein.

In ihrer sportlichen Karriere profitiert sie von ihrem Beruf. Sie arbeitet als Fachgebietsleiterin für Behindertensport am Bundesinstitut für Sportwissenschaft in Bonn. "Für meine sportliche Entwicklung haben insbesondere sportpsychologische Verfahren in den letzten Jahren an Einfluss gewonnen. Auch bei anderen erfolgreichen Sportlern konnte ich diese Entwicklung feststellen", erklärt sie. Dabei geht es um einfache psychologische Fertigkeiten, die bei der Bewältigung vieler Situationen hilfreich sind. Kollegiale Unterstützung nimmt sie gerne an: "Ich habe auch einmal die Hilfe eines Sportpsychologen in Anspruch genommen und davon sehr profitiert."

Russische Gelassenheit

Wird sie auch in Russland von der Psychologie profitieren? Das Land jedenfalls hat sie in ihren Bann gezogen. "Ich mag die große Gastfreundschaft der Russen. Ich finde die Gelassenheit bemerkenswert, mit welcher russische Menschen oft reagieren. Für mich ist Russland auch mit einer hohen kulturellen Bildung verbunden", fühlt sie sich im Osten Europas immer sehr wohl. Sotschi ist ihr zwar nur von einigen Testwettkämpfen bekannt, aber Russland hat sie schon häufig bereist und spricht auch etwas Russisch.

Das erste Gold

Ihre paralympische Karriere begann bei den Sommerspielen 2008 in Peking. Hier holte sie ihr erstes Gold beim Straßenrennen. In den Wintermonaten steigt sie in den Sitzschlitten um. Von den Paralympischen Winterspielen 2010 in Vancouver kehrte die Thüringerin, die heute in Bergheim in der Nähe von Köln lebt, mit einer Silber- und einer Bronzemedaille zurück.

An ihrer Kondition arbeitet sie in der künstlichen Höhenkammer der Deutschen Sporthochschule in Köln. Den Effekt mit der verstärkten Bildung von roten Blutkörperchen kennt sie schon von ihrer London-Vorbereitung – mit dem bekannten Erfolg. Zudem ist Andrea Eskau regelmäßig in der schneelosen Zeit zum Training im Oberhofer Skitunnel zu Gast. Eine gute Gelegenheit, um bei ihren Eltern vorbei zu schauen. Denn die leben nach wie vor in Apolda, was aus dem Thüringer Wald leicht zu erreichen ist. Auf ihrem Weg nach Sotschi scheint Andrea Eskau eben an alles gedacht zu haben. Doch dieser Gewissheit wird sie nicht vertrauen und weiter unermüdlich am Erfolg arbeiten. Denn ihr Motto hat sie sich bei dem erfolgreichen US-amerikanischen Rennfahrer Mario Andretti abgeschaut: "Wenn alles unter Kontrolle zu sein scheint, dann bist du noch nicht schnell genug!"