Paralympisch leben

"Keiner spricht über den Nachteil einer Prothese"

"Keiner spricht über den Nachteil einer Prothese"
12. August 2015

"Keiner spricht über den Nachteil einer Prothese"

Markus Rehm darf seinen Titel als Deutscher Meister im Weitsprung nicht verteidigen – und ist dennoch ehrgeizig. Der Paralympics-Sieger über den Einsatz von Prothesen, Inklusion und seine Ziele in Nürnberg.

Markus Rehm, Sie waren bis vor Kurzem am Knie verletzt. Wie ist Ihr Fitnesszustand?


Ich kann wieder richtig gut springen und fühle mich gut in Form. Ich hoffe, durch die Trainingseinheiten meine Sicherheit beim Absprung zurückbekommen zu haben. Einer guten Leistung in Nürnberg sollte dann nichts im Wege stehen.

Sie sind der erste Deutsche Meister im Weitsprung, der antritt, ohne seinen Titel verteidigen zu dürfen. Wie gehen Sie mit dieser Situation um?

Das hört sich hart an. Aber ich gehe das ganz entspannt an, weil es mir schon immer vor allem darum ging, mich mit den anderen Athleten messen zu können. Ich freue mich auf einen tollen Wettkampf. Mit dem DLV-Beschluss, dass ich getrennt gewertet werde, kann ich erst einmal leben. Ich hoffe nur, dass man nicht alles auf die Prothese reduziert und meine Leistung so respektiert, wie ich die der anderen Athleten respektiere. Und ich hoffe auch, dass man eine dauerhafte und einvernehmliche Lösung findet und nicht auf Zeit spielt mit dem Hintergedanken, dass sich das Thema irgendwann von selbst erledigt.

Es sollte ja ein Gutachten erstellt werden über die Vor- und Nachteile Ihrer Prothese im Vergleich zu Athleten mit zwei Beinen.

Der DLV wollte zwar etwas in die Wege leiten, mit mir wurde darüber aber noch nicht gesprochen. Der Deutsche Behindertensportverband DBS ist wohl auch dran und sucht eine Möglichkeit. Wir müssen diese Untersuchungen machen und schauen, ob eine Vergleichbarkeit da ist. Bis dahin kann man das mit der getrennten Wertung ja machen.

Der DLV, der Deutsche Leichtatletik-Verband, will beim Weltverband beantragen, auch international gemeinsame Meisterschaften mit getrennten Wertungen durchzuführen. Was halten Sie davon?


Wenn der DLV den Vorschlag energisch durchzubekommen versucht, dann ist das eine tolle Sache. Ich würde mich gerne mit dem Verband zusammentun, um gemeinsam eine gute Lösung zu finden. Ich denke, dass es auch für den olympischen Sport eine große Chance ist, wenn man gemeinsame Wettkämpfe macht. Warum sollte man nicht vereinzelt gemeinsam an den Start gehen auch bei großen Events, wenn auch vorerst mit getrennter Wertung? Wir könnten dann zeigen, dass wir tolle paralympische Athleten haben, die auch Werte und Botschaften einbringen. Das wäre ein großes Zeichen für die Inklusion.

Spüren Sie eine besondere Verantwortung, wenn Sie am Freitag in Nürnberg auch Sportler mit Handicap repräsentieren?

Ich sehe das nicht als Druck, sondern als Herausforderung. Ich kann und will nicht für alle Athleten sprechen. Aber wenn ich die Chance habe, für unseren Sport etwas zu erreichen, dann tue ich das unheimlich gerne.    
       
Auch der DLV will seine Veranstaltungen voranbringen, weshalb in Nürnberg in der Altstadt gesprungen wird. Was erwarten Sie von dem Wettkampf?


Auf jeden Fall eine großartige Stimmung. Das ist genau der richtige Weg, die Leichtathletik attraktiv zu präsentieren. Ich glaube, man muss ein bisschen Showcharakter reinbringen und hoffe, dass es mit so einer Veranstaltung in der Innenstadt gelingt, die Zuschauer für einen Besuch im Stadion an den folgenden Tagen zu bewegen.

Ist denn so ein Anlaufsteg ein Problem für Sie?

Man muss sich einfach darauf einstellen. Bisher bin ich ganz gut auf Stegen zurechtgekommen. Ich mache mir da keinen großen Kopf. Es ist ein normaler Wettkampf auf einer etwas anderen Bahn.

Normalerweise sind bei Meisterschaften die Medaillen das Ziel. Was ist Ihr Ansporn?

Ich will um die Tagesbestweite kämpfen. Außerdem habe ich das Ziel, persönliche Bestleistung zu springen oder nahe an sie heranzukommen.

Sie sind im Mai 8,29 Meter gesprungen. Die Weite wird nicht in der DLV-Jahresbestenliste geführt. Fühlen Sie sich diskriminiert?

Es wäre natürlich schön, wenn die Leistung erwähnt würde, wenn auch vielleicht separat. Das wäre ein Zeichen dafür, dass diese Leistungen auch wertgeschätzt werden. Es wird immer nur diskutiert, dass ich einen Vorteil hätte. Man spricht aber nie über einen Nachteil. Wenn es so einfach wäre, mit einer Prothese so weit zu springen, dann frage ich mich, wo die anderen Athleten sind, die womöglich die gleiche Technik haben.

Biomechaniker stellten fest, dass bei Ihnen beim Absprung weniger Energie verloren geht. Was ist denn der Hauptnachteil?


Das sind mehrere Faktoren. Ich habe einen etwas langsameren Anlauf, mein Bein ist auch nicht so anpassungsfähig wie ein gesundes. Die Prothese hat eine Einstellung. Das ist das große Problem, dass man da einen Kompromiss am Bein hat: Ich muss damit schnell laufen und weit springen können. Ich habe keine Sensorik im Bein, mit der ich am Brett noch was ausgleichen könnte. Ich habe auch keinen so runden Anlauf. Und im Training gibt es viele Übungen, die ich nicht machen kann. Dass über diese Faktoren im Grunde gar nicht gesprochen wird, ist wirklich sehr schade. Falls sich beim Absprung ein Vorteil ergeben sollte, dann muss man diese Nachteile dagegen halten.

Springen Sie denn mit derselben Prothese wie im Jahr 2014?

Der Schaft ist unverändert. Ich muss natürlich immer mal wieder Teile austauschen, die werden eins zu eins ersetzt. Das ist ganz normaler Verschleiß. Aber technisch hat sich an der Prothese absolut nichts verändert. Es hat ja auch ganz gut funktioniert. Ich muss da nicht tüfteln. Never change a running system.

 

Quelle: Tagesspiegel